Texte und Essays
HELNWEIN,Orac Pietsch – 30. November 1980
MONOGRAPH
GOTTFRIED HELNWEIN
Er ist an Kummer mit seinen Blicken gewöhnt. Dass ältere Damen in durchaus nicht damenhafte Schimpfkanonaden ausbrechen und andere hysterisch loslachen, dass ruhig und besonnen wirkende Betrachter vor seinen Bildern ihren (un)heimlichen Zorn zu einem Wutausbruch steigern - das alles lässt Gottfried Helnwein längst nicht mehr staunen.
"Ich bin meiner Bilder wegen schon mit dem Messer bedroht worden, obwohl diese Menschen mit meinen Arbeiten überhaupt nichts zu tun hatten", versucht er die Wirkung mancher seiner Arbeiten zu beschreiben. "Ich kenne von Jugend auf die Leute. Ihr Aggressionen, ihre Ängste, ihre Verletzlichkeit - das alles ist in meine Arbeiten. Ich bin natürlich gegen diesen Sadismus, aber die Leute verdrängen einfach die Vorstellung, das es so etwas gibt. Stehen sie nicht aufgeregt gaffend zu Hunderten bei jedem Verkehrsunfall?"
Gottfried Helnwein, Jahrgang 1948, war Student der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt und ab 1969 Schüler der Meisterklasse Rudolf Hausners an der Wiener Akademie der bildenden Künste, die ihm 1970 den Meisterschulpreis verlieh. Als er, mit dem Rüstzeug der "Graphischen" perfekt gedrillt, 1968 zu malen begann, um an der Akademie eine großformatige Arbeit zur Aufnahmeprüfung vorlegen zu können, entstand das "Osterwetter". Sein erstes Bild. Ein Bild verführerischer Schönheit und poetischer Melancholie. Blasslila blüht die Heide unter dem zartgrau schimmernden Himmel. Zwei Mädchen, in duftigen Kleidern, beim Spielen.
Bei den meisten Betrachtern war dieses Bild tiefen Friedens eine Liebe auf den ersten Blick, die erst beim zweiten Hinschauen einen Schock erlitt. Das eine der blassen, puppenhaften Geschöpfe liegt im Feld. Regungslos. Das andere umklammert mit den Patschhändchen - ein blutiges Messer. Ein paar rote Tropfen auf dem Kinderkleid blühen wie Mohnblumen. Lautloses Sterben. Halb mörderisches Spiel, halb kindlich-tödliche Liebesbeziehung. Gestalten, so plastisch und doch so un(an)fassbar wie die geträumten Wesen, die uns im Traum niedermetzeln, obwohl wir gleichzeitig fast teilnahmslose Zuschauer sind.
"Die Vorstellung war spontan vorhanden - der Rest war eine Sache des Handwerks", resümiert Helnwein rückblickend diesen seinen ersten Schritt in der Malerei, in eine Malerei, die von seinen späten Arbeiten kaum trennbar erscheint und sich doch auch sehr wesentlich davon unterscheidet. Denn einerseits kündigt sich da schon im spontan drauflosgemalten Bild eine Vorstellung an, die seine Arbeiten bis heute prägt: die verletzte Kreatur, die scheinbar gute Miene zum teuflischen Spiel macht (wenn sie überhaupt noch eine Chance hat,Miene zu machen)! Man weiß bei ihr aber nie, woher ihr Elend rührt. Wer oder was es verursacht hat. Was sind das doch für gespaltene Existenzen, die über ihr Elend wirr lachen oder mit seziertem Blick sich an ihrem Leiden weiden? Lachen sie oder ist ihr Gesicht nur noch verzerrte Grimasse? Vexierbild der Seele?
Die naive Phase war fraglos von kurzer Dauer. Ein so kritischer Kopf wie Helnwein konnte sich nicht ausschließlich als Medium seiner Gefühle, Träume und Wunschbilder verstehen. Er suchte bald nach Zugängen zu einem Gegenüber, nach Ein- und Abstiegen ins Seelenlabyrinth des Publikums. Ihm war wichtig zu erfahren, was den Betrachter berührte, was in ihm Überraschung, Angewiedertsein, Angst und - als Entspannunsmoment - Zorn und Ablehnung auslöste.
Helnwein wollte den schönen Bildern der Absicherung des Denkens und Fühlens seine gefährlichen Bilder der Verunsicherung entgegenstellen. Und er zeigt damit, wie tief er mit seinen verwundeten, verletzten Gestalten und mit seinen Bandagierten, die ihre Verletzungen und oft genug ihr Gesicht verbergen (ist die Persönlichkeit dahinter schon ausgelöscht?), in der österreichischen, ja wienerischen Kunsttradition verwurzelt ist. Von Hofmannsthal und Schnitzler bis zu Thomas Bernhard lassen sich die Verletzungen und die Gesten des Verbergens und der Selbstverneinung verfolgen. Und von den Fotos eines Schwarzkogler mit seinen bandagierten, an Aggregate angeschlossene Knaben über Günther Brus' Zeichnungen zu den Gebärden des Verbergens und Auslöschens in den Übermalungen und Überzeichnungen eines Arnulf Rainer zieht sich diese Grundhaltung.
"Im Fernsehen werden Greul und Krieg zur Gewohnheit. Bei meinen Bildern empfinden die Leute merkwürdiger Weise nicht, dass es von mir erfundene Dinge sind - ein bisschen Farbe auf Papier. Seltsam, dass die Leute alles nur mit einer Motivation verstehen und akzeptieren. Wenn sie wissen, warum zum Beispiel dieses von mir erfundene Mädchen, dieses schutzbedürftige Wesen, so zugerichtet wurde, durch einen Unfall etwa oder durch eine Operation, dann weicht sofort die Angst, weicht der dunkle Horror vor dem ungewissen Schicksal. Durch eine kausale Gesetzmäßigkeit, etwa dass die zerschossenen Soldaten starben, weil... Dann wird der Betrachter sofort mit aufsteigenden Aggressionen gegen Blut und Tod fertig." Sobald der Betrachter diese Bilder in seine Denkschemata einordnen kann, verlieren Schreckensbilder für ihn den Schrecken. "Einteilen können heißt: vom quälenden Zweifel erlöst sein!"( Worin auch die Popularität der Kunst geistig Kranker begründet sein dürfte.)
Helnwein selbst ordnet seine
arbeiten zwei Phasen zu: 1973 und 1979 malte er vor allem verletzte Kinder, Kinder auf Operationstischen, Kinder als Opfer technischer Geräte, bedrohlich dämonisches Eigenleben annehmend. Es war eine Phase subtil empfundener "medizinischer" Bilder, die Helnwein den Beinamen "Medizinalschocker von Wien" eintrugen. Ab 1975/76 wandte er sich - ab seinem "Selbstportrait" (mit bandagiertem Kopf) - in Bildern, Zeichnungen, Buchillustrationen und vor allem in Coverentwürfen für Zeitschriften und Plakaten einer Perfektionierung seins Stils zu. Die Herausforderung des Betrachters wird schlechthin systematisiert. Vielleicht auch, weil Helnwein Methoden ableiten wollte, um die "Wirkung von Kunst" in den Griff zu bekommen. Ein Urtraum vieler Künstler, malend und zeichnend bestimmen zu können, was eine Bild im Betrachter auslöst. Helnwein ist in der Wahl seiner Ausdrucksmittel dementsprechend raffiniert geworden. Er wählt bewusst. Er weiß, wie man Ansprüche erfüllt. In der dramatischen, jedoch auch kühlen Art der Darstellung, in der Ästhetik schwereloser Farblasuren und Punktierungen, in der gekonnten Mobilisierung der Phantasie und des Assoziationsmechanismus, im Einbauen von Klischeevorstellungen aller Art ist er perfekt: Gefühlsmenschen wie kritisch-intellektuelle Persönlichkeiten finden hier Überraschungsmomente. Die Kunst ist nicht an soziale Schichten gebunden.
Der Wunsch, mit diesen Bildern möglichst viele Menschen zu erreichen, hat Helnwein immer wieder den Weg in die Massenmedien suchen lassen: "Ich möchte auf dem Cover jeder Zeitschrift der Welt drauf sein!" Als Grund gibt er an, sich so den "permanenten Dialog" mit dem Publikum zu sichern. "Ein Zeitungs- und Zeitschriftencover oder ein Plakat sind für mich wie eine riesige Ausstellung, mit der die Leute unvorbereitet konfrontiert werden."
Keine Frage, dass dieses Denken auch sein Arbeiten entscheidend beeinflusst: "Ich ziehe stets das Medium in Betracht, stecke mir so die Grenzen für meine Arbeit ab, und erst dann bin ich kreativ." Darf es einen wundern, dass er auch von Hollywood-Filmen schwärmt und davon träumt, einmal einen großen Film nach seiner "Methode" zu drehen? Denn so gesehen
"schränkt die Malerei eigentlich nur ein. Ja, sie ist anachronistisch"!
Karlheinz Roschitz
http://www.gottfried-helnwein-interview.com/
http://www.helnweinreviews.com/links.htm