Texte und Essays
Katalog, Mittelrhein-Museum, Koblenz, Leopold Hoesch-Museum, Dueren – 30. November 1985
One-man show, Mittelrhein-Museum, Koblenz, Leopold-Hoesch-Museum, Dueren
"Malen heisst sich wehren. Immer eine Antwort auf etwas, Helnwein."
Mittelrhein-Museum, Koblenz, 18.10.-23.11.1986
Galerie Würthle, Wien, 15.1.-28.2.1987
Leopold-Hoesch-Museum, Düren, 29.3.-3.5.1987
Hans Dichand
Galerie Würthle,Wien
Zu allen Zeiten und in allen Kulturen sind Künstler Seher gewesen.
Stets blickten sie in die Zukunft und bleiben so in der Gegenwart meist unverstanden.
Die Gesellschaft empfindet ihre Kunst, weil sie nicht bestätigend ist, schockierend.
Später einmal wird man kaum begreifen können, warum das so war. Wie konnten zum Beispiel die Impressionisten Stürme der Ablehnung hervorrufen? Wie konnte Rembrandt verkannt werden? Bei Schiele, der uns zeitlich näher ist, verstehen wir heute noch nie Ablehnung seiner Bilder, aber wir erkennen auch schon wie falsch dieses Urteil war.
Manchmal hört man, bürgerliche Denkart und der schöpferische Anspruch des Künstlers vertragen einander nicht. Daraus entstünden die Konflikte. Das hat nie gestimmt, denn stets hat es in allen Klassen der Gesellschaft Menschen gegeben, die sich von Kunst nicht angesprochen fühlten und solche, die an ihre Tiefen sehr nah herankamen. Daran hat auch die
Parole " Kunst fürs Volk " nichts ändern können.
Als vor einigen Jahren Gottfried Helnweins Werke im Wiener Pressehaus vorgestellt wurden, protestierte der Betriebsrat. Von keiner Gesellschaft, von keiner Klasse, wird neue Kunst akzeptiert, immer nur von einzelnen. Stets gibt es anfänglich Widerstand, weil es in jeder etablierten Gesellschaft an kultureller Beweglichkeit fehlt, das Neue zu erkennen und akzeptieren. Bei Helnwein, der durch seine Bilder konventionelle Verletzlichkeit in einem ganz besonderen Maße provoziert, war die Ablehnung auch entsprechend extrem. " Blut- und Narbenmaler " nannte man ihn.
Er hat sich dennoch durchgesetzt. Heute ist Gottfried Helnwein weltbekannt und als Künstler entsprechend eingestuft. Die jetzige Ausstellung zeigt, dass er ein Suchender geblieben ist, einer der nach Sturm und Drang Extreme hinter sich gelassen hat, ohne künstlerische Kraft eingebüßt zu haben. Nach wie vor gilt seine Aussage: " Malen ist sich wehren.
Immer eine Antwort auf etwas."
Dorothea Eimert
Chief Curator
Leopold-Hoesch-Museum, Düren
Gottfried Helnwein gehört zu den populärsten Malern der jüngeren Generation. Mit seinen superrealistischen Bildern hat er in den 1970er Jahren sehr schnell Weltgeltung erlangt.
Die neuesten Bilder stellen einen Hellnwein vor, der sich oft von der Eindeutigkeit des Realismus abgekehrt und einer feinnervig-abstrakten, monochrom - erzählerischen Formensprache zugewand hat. Das Verlassen der Heimatstadt Wien im Mai 1985 und die Übersiedlung an den Rhein nach Burgbrohl wirkt im Rückblick wie ein notwendig gewordener Akt der Befreiung, wie eine Abnabelung aus dem geistigen und gesellschaftlichen Eingebundensein, wie eine Sprengung des selbst konstruierten Eigen - Klischees.
In den neuen Bildern erprobt Helnwein mit virtuoser Leichtigkeit und handwerklicher Meisterschaft eine variationsreiche Palette unterschiedlicher Stilrichtungen und verschiedener Techniken. Fotografie steht neben Malerei oder Aquarell, Bunt-Foto neben Schwarz-Weiß-Foto und neben Malerei, Realistisches gesellt sich zu Abstraktem, Farbenfreude korrespondiert mit Monochromie. Zitate aus Politik und Malereigeschichte werden eingeflochten und kommentiert. Die Diptycha und Triptycha leben vom Dualismus, von Dynamik und Spannung.
Die Befreiung aus den Fesseln der Vergangenheit, der Rückzug in die Stille und Besinnlichkeit hat bei Helnwein einen Arbeitsrausch hoher schöpferischer Güte ausgelöst. Sensibler und leiser, aber um so intensiver und kraftvoll formuliert er sein Thema vom verletzten und verwundeten Menschen, von seinen Leiden, seiner Sprachlosigkeit und von seiner Einsamkeit.
Immer wieder konterveit Helnwein sich selbst als Verwundeten, mit Mullbinden Verbundenen, als Kopf mit eingeschnürten Sinnesorganen, als jemand, der nichts mehr in sich aufnehmen und nichts mehr von sich geben kann. Die jüngste, vielteilige Reihe mit Selbstportraitköpfen erschein wie ein Befreiungsakt in die Welt der farbenfreudigen Abstraktionen und differenziert schillernden Monochromie. Die Ohnmacht vor dem Destruktiven, Unangenehmen und Hässlichen, die Helnwein in seinen realistischen Bildern verdeutlicht, führt in den neuen Selbstportraits zur Auflösung in den abstrakten Farbrausch.
Auch in den Zeichnungen Helnweins zeigt sich der Neubeginn. Erstmals stellt er vielfarbige Farbstrichzeichnungen vor. Der Strich ist wie ehedem flockig, sicher und schnell. Gitterartig sich überlagernde Strichelungen beschreiben eine tiefe Räumlichkeit und leuchtende Plastizität. Ungeheure Wärme und Innigkeit entströmt diesen intimen Kinderszenen.