Texte und Essays
TEATRO SAN MARTIN, Buenos Aires – 30. November 1999
Rodrigo M. Malmstens Theaterstück KLEINES HELNWEIN
KLEINES HELNWEIN
Der Argentinier Rodrigo M. Malmsten hat, inspiriert durch die Bilder Gottfried Helnweins, das Theaterstück "KLEINES HELNWEIN" geschrieben.
Es wurde 2000 in Buenos Aires uraufgeführt
TITULO DE LA OBRA: KLEINES HELNWEIN
Es una Coproduccion con el Teatro General San Martin
AUTOR: RODRIGO M. MALMSTEN
(Übersetzung: Julia Fischbein)
SYNOPSE
Grundlage des Stückes KLEINES HELNWEIN ist die Ästhetik des zeitgenössischen Malers Gottfried Helnwein.
Die harte und ironische Thematik seiner Werke klagt eine heuchlerische und dunkle Gesellschaft an, sei es die eigene oder eine andere.
Die visuelle Sprache - eine Auswahl aus dem Werk des Künstlers - ist Teil der Dramaturgie.Text und Bilder stellen ein Gewebe dar, indem sie ineinander laufen, einander ablösen. So wird das Thema des Stückes hervorgehoben, i.e. die Geschichte des Protagonisten wird anhand von verschiedenen Sprachen erzählt.
Eins meiner Hauptziele war es, diese beiden Sprachen zu verschmelzen, um bestimmte wesentliche Elemente des Stücks hervorzuheben, z.B. "Die Macht", ihre Beziehung zu ihren Opfern und die daraus folgenden Auswirkungen und Spuren auf Individuen und Gesellschaft, die sich auf diese Weise etwas Unheimliches, Abstoßendes verwandeln.
Eine dritte Sprache, die Musik, ist mit den anderen beiden verflochten, um die Geschichte des Protagonisten zu unterstreichen. Musik und Life-Musik sind in der Dramaturgie einbezogen.
Eine Frau, die wie ein Kind lebt, oder ein Mann, der wie ein Kind Lebt. Dieses Geschöpf wiederholt wie in einem Zyklus immer dieselben Handlungen, seine Vergangenheit im Spiel evozierend, als wäre ihm eine geheimnisvolle Strafe auferlegt worden, ein weiteres Exemplar aus dem "Inferno del Dante".
Diese Person leidet an einer Geschlechtsneutralität; deshalb kann sie von einer Schauspielerin oder von einem Schauspieler dargestellt werden.
Kleines Helnwein ist ein Frau-Kind oder ein Mann-Kind, ein Opfer und ein eventueller Täter. Vielleicht wurde es in seiner Geschichte von den Eltern misshandelt, oder es gab dar keine Eltern, sondern eine reelle Figur aus unserer jüngsten Vergangenheit, die dieses Individuum in der Rolle eines "ideellen" Vaters in etwas Perverses verwandelt hat. Diese biologischen Eltern, die reellen, existieren, wenn wir von einer internen Linie innerhalb des Protagonisten sprechen. Eigentlich ist dieser Protagonist die Metapher der österreichischen, der argentinischen oder einer sonst beliebigen Gesellschaft.
Unterworfen und erzogen auf der Grundlage der Misshandlung und der Intoleranz, wo ein eventueller Erzieher, ideeller Vater oder Anführer, seine Wut, seine unbeschränkte Machtsucht undiskirminiert auslässt, indem er diese Gesellschaften durchdringt, durchlöchert, vergewaltigt. So wie es Kleinem Helnwein geschieht. (Die Verwaltigung als Symbol des Machtsmissbrauchs erscheint in der Szene durch eine Off-Stimme auf Spanish).
Der "Anführer oder ideeller Vater", auf den ich hinweise, könnte Hitler oder irgendein Diktator sein. Auch er, sie, sind verantwortlich für die Auswirkungen, die ihre Erziehung auf diese Person haben. Kleines Helnwein entspricht entspringt in meiner Vorstellung einem der Bilder des Malers, um uns in nur 50 Minuten sein Wesen, seine Distanzierung vor dem Schmerzen, seine eigene Zeit, zu vermitteln; uns in einer kindlichen Atmosphäre ein Zimmer zu zeigen, das zum Metallenen, fast zum Laborklima degradiert ist. Das ist Kleines Helnweins Blick vor sich selbst, Kleines Helnwein ist sein eigener Spiegel.
Kleines Helnwein: Neugier? Hilflosigkeit? Einsamkeit? Zerfall vom eigenen Inhalt? Dunkelheit? Beschreibung einer unwiderruflichen Aufspaltung in seiner Lage als Opfer oder zukünftiger Täter? Wer könnte diese Fragen beantworten?
Ja, Kleines Helnwein "ist" Gewalt.
Bühnenbild
Das Bühnenbild versucht mit Metaphern die Umgebung, wo der Protagonist aufgewachsen ist und noch wohnt, d.h. sein Zimmer, zu beschreiben. Diese Art Bühnenbild verlangt eine Reihe von Objekten und Elementen:
Zentrale Elemente
> ein alter gynäkologischer Stuhl
> eine metallene Waschschüssel
> Krankenhausbüchsen
> Chirurgische Elemente, Skalpell, usw.
> eine große Puppe
> Damenschuhe
> Herrenschuhe
Kostüm
Grundlage dafür ist die Ästhetik des Malers. Es ist atemporal.
> Altmodisches Mädchenkleid
> Mädchenschuhe (mit Riehmchen)
> Weißes Verbandszeug
Visuelle Sprache
Auswahl von Werken des Malers Gottfried Helnwein, die während des Stückes mit zwei Projektoren gezeigt werden:
GEMEINES KIND (1970)
PEINLCIH (1971)
BEAUTIFUL VICTIM (1974)
DAS LIED (1980)
DER HÖHNISCHE ARZT (1973)
NEUNTER NOVEMBER NACHT (1988)
MUTTERTAG (1990)
OHNE TITEL (1987)
Die Dias dieser Auswahl werden zwischen Bild und Bild im Zentrum der Bühne und auf die Figur des Protagonisten projeziert.
"ICH BIN FEST DAVON ÜBERZEUGT, DASS DER ZWECK DER LITERATUR DARIN BESTEHT, DEM THEATER WIDERSTAND ZU LEISTEN. DER TEXT IST NUR DANN FÜR DAS THEATER PRODUKTIV ODER INTERESSANT, WENN ER BEI DER AKTUELLEN VERFASSUNG DES THEATERS NICHT AUFGEFÜHRT WERDEN KANN. ES GIBT SCHON GENÜGEND THEATERSTÜCKE, DIE SICH DEM THEATER, SO WIE ES IST, ZUR VERFÜGUNG STELLEN. ES IST NICHT RATSAM, DABEI ZU VERBLEIBEN, DENN ES BEDEUTETE, DAS THEATER LAHMZULEGEN."
HEINER MÜLLER (1975)
Die Texte suggieren eine bestimmte Absicht, sie werden aber gefühlsmäßig von der entgegengesetzten Absicht aus erarbeitet und von einer expressionistischen Körpersprache begleitet. Eins der Ziele dieses Stückes ist es, ständig mit der Barriere des Theatralischen zu brechen. Der Zuschauer soll sich davon bewußt werden, daß er in einem Theatersaal ist. Der/die Schauspieler/in wird ihm entgegengetreten.