Presse und Medien
B.Z. Berlin – 13. Januar 1987
Gemäldediebstahl in Berlin
Der Kuß ist weg! Und die Moral ist weg!
Rätselhafte Gemäldediebstähle in Berlin
Zwei Frauen, die sich küssen - und ein junges Mädchen, das neben einer umgestürzten Tasse am Boden sitzt: Diese beiden besonders bekannten Gemälde des 37jährigen österreichischen Malers Gottfried Helnwein sind aus dem oberen Foyer der Freien Volksbühne in Berlin gestohlen worden!
Beide Werke, eines davon heißt "Moral 2", haben einen Wert von 70.000 Mark. Für die Wiederbeschaffung setzte das Theater eine Belohnung von 7.500 Mark aus.
Der Kuß-Diebstahl: "Wir sind alle wie vor den Kopf gestoßen".
Die beiden aus der Freien Volksbühne gestohlenen Gemälde sollten ab 15. Januar in Wien gezeigt werden: Die Kuss-Szene trägt den Titel "Verlorene Zeit", die andere Arbeit heißt "Moral 2".
Der Diebstahl der beiden Kunstwerke (jedes 70 mal 100 Zentimeter groß) wurde gegen 10 Uhr entdeckt, als die Ausstellung für den Abtransport nach Wien abgehängt werden sollte.
Der 33jaehrige Thomas Wördehoff, als Referent des Intendanten auch verantwortlich für die Organisation der Ausstellung, zur BZ:
"Die gestohlenen Bilder sind die wertvollsten dieser Schau, die wir zum Thema Sex und Gewalt, begleitend zu den beiden Stücken unseres Hauses, geplant hatten. Helnwein hat je vier Monate über diesen Arbeiten gesessen. Als wir ihn telefonisch von dem Diebstahl informierten, war er total mit den Nerven fertig".
Der 45jährige Volksbühnen-Chef Hans Neuenfels ist bestürzt; er hat sich bereits mit einem Brief bei Helnwein entschuldigt, sagt Wördehoff.
Referent Wördehoff: "Wir sind alle wie vor den Kopf gestoßen, können uns nicht erklären, wie dieser Diebstahl passieren konnte".
Die Kripo: Es gibt "keinen speziellen Tatverdacht". Vermutlich haben Besucher einer Aufführung die beiden Gemälde mitgehen lassen. Einbruchsspuren gibt es nicht.
Die Arbeit "Verlorene Zeit" entstand für das gleichnamige Theaterstück von John Hopkins, das Regie-Star Peter Zadek für das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg inszeniert hatte. Es war als Gastspiel 1985 auch in Berlin zu sehen. Das Helnwein-Original war Vorlage für das Theaterplakat und auch für die Titelseite des Programmheftes.
In dem heftig umstrittenen Schauspiel geht es um eine junge Frau (Ilse Ritter), die in einer dunklen Straßenecke fast vergewaltigt wurde, ihrer Freundin (Eva Mattes) davon erzählt - und sich den ersten Schreck von der Seele redet.