Presse und Medien
Die Zeit – 13. April 1990
Hans Kresnik, und die Münchener Schlafoper
EIN PREIS UND EINE POSSE
Kresnik, Helnwein und die Münchner Schlafoper
...Damit hat Sawallisch, der sonst ähnlich possenhafte Fehden mit seinem Generalintendanten August Everding öffentlich austrägt, wieder einmal ein Schuss abgefeuert, der nach hinten losging.
Hat er nicht bis kurz vor dem Rausschmiss Kresnik und Helnwein (und sich selber) für "dies mutige und ambitionierte Projekt" gelobt?
Die grotesken Unterstellungen und unwahren Behauptungen verraten, dass Sawallisch zur Leitung eines Opernhauses offensichtlich wirklich nicht taugt und dass der bayrische Kulturminister Hans Zehetmaier Grund hat, öffentlich über die vorzeitige Trennung von Sawallisch nachzudenken.
Sawallisch- so muss man schließen- hat gar nicht gewusst, worauf er sich einließ, als er ein paar berühmte "Namen" einzukaufen gedachte.
Erst jetzt scheint ihm klar geworden zu sein, dass er mit Kresnik / Helnwein Künstler engagiert hat, die sich auf eine nebulose "Werktreue" nicht verpflichten lassen.
Der 1939 in Bleiburg(Kärnten) geborene Bergbauersohn Hans Kresnik, einer der bedeutendsten Choreografen der zeitgenössischen Tanztheater, nennt seine Art, "auf der Bühne weiter zu kämpfen": "Choreografisches Theater". Er versteht darunter "vor allem die Entwicklung von Bildern auf der Bühne, von beweglichen Bildern. Es gehört dazu alles, von der Volklore bis zum gesprochenen Wort, von der Musik bis zur Collage.....Es gibt so viele Choreografen und Regisseure, die immer, heile Welt; und lustiges Zeug auf die Bühne stellen. Ich persönlich kann damit nichts anfangen, denn wir leben in einem ziemlichen Chaos".
Jetzt hat die Stiftung Preußischer Seehandlung ihren Theaterpreis(30.000 Mark), dem zuvor schon George Tabori und Peter Stein/Karl Ernst Herrmann erhalten hatten, Hans Kresnik verliehen, der von 320 Jahren mit "O sela pei" seinen ersten Tanzabend choreographiert hat, eine Collage auf Texte von Schizophrenen. In der Begrüßung heißt es: "Hans Kresnik, Choreographisches Theater' leistet seit über 20 Jahrzehnten ästhetischen Widerstand gegen zwei- sehr deutsche- Übel: Gegen die kollektive Verdrängung von Unrecht und Schuld: gegen die heillose Verstrickung in Familienbande und Gruppenzwänge." Der Preis wird Kresnik beim " Berliner Theatertreffen" im Mai verliehen, zu dem er und sein Bremer Tanztheater mit der jüngsten Arbeit, "Ulrike Meinhof"(ZEIT vom 23. Februar 1990), eingeladen ist.
Gefragt, weshalb er nicht an ein größeres Haus gehe, hat Kresnik (von 1968 bis 1978 in Bremen, von 1979 bis 1989 in Heidelberg, seither wieder in Bremen) schon vor Jahren geantwortet: "es ist vollkommen egal, wo man Theater macht. Natürlich sind hier (in Heidelberg) die Mittel beschränkt.. .Aber das Pasolini- Projekt beispielsweise ist in München auf totale Unverständnis gestoßen".
Auf totales Unverständnis ist in München jetzt auch ein Projekt gestoßen, das Kresnik zusammen mit dem österreichischen Schriftsteller Gerd Jonke , dem Tänzer Ismael Ivo, außerdem: "einem der besten Lichtdesigner der Rockmusikszene(mit über 250 computergesteuerten Scheinwerfern)" und dem österreichischen Maler Gottfried Helnwein geplant hat, den Kresnik schon in Heidelberg als Bühnenbildner für "Macbeth"(1988) und "Ödipus"(1989) entdeckt hat.
Dieses Team sollte am 6. Juli die Münchener Opernfestspiele zum 95. Geburtstag des Komponisten mit Carl Orffs "Trionfi" eröffnen, also den drei Stücken "Carmina Burana", " Carmina Cartulli" und "Trionfi di Afrodite". Doch hat der Direktor der Bayrischen Staatsoper, der Dirigent Wolfgang Sawallisch, den Künstlern diesen Auftrag mit sofortiger Wirkung entzogen- mit der Beschuldigung, sie hätten "sowohl das Werk als auch die Bayrische Staatsoper nicht ernst genommen". Damit hat Sawallisch, der sonst ähnlich possenhafte Fehden mit seinem Generalintendanten August Everding öffentlich austrägt, wieder einmal ein Schuss abgefeuert, der nach hinten losging. Hat er nicht bis kurz vor dem Rausschmiss Kresnik und Helnwein( und sich selber) für "dies mutige und ambitionierte Projekt" gelobt? Jetzt auf einmal wird "das Ausbleiben jeder verbindlichen Arbeitsgrundlage" angemahnt. Obwohl seit 1987 eifrig verhandelt werde, habe Helnwein " bis jetzt lediglich drei Skizzen sowie einige zur Realisierung ungenügende Katalogausschnitte abgeliefert".
Die grotesken Unterstellungen und unwahren Behauptungen verraten, dass Sawallisch zur Leitung eines Opernhauses offensichtlich wirklich nicht taugt und dass der bayrische Kulturminister Hans Zehetmaier Grund hat, öffentlich über die vorzeitige Trennung von Sawallisch nach zudenken( dessen Vertrag bis 1993 läuft) und ein Dreier-Gremium aus den bisherigen Betriebsdirektor Gerd Uecker, dem Dirigenten Daniel Barenboim und der Betriebsdirektorin der Bastille-Oper in Paris, Eva Wagner, zu favorisieren.
Ist es Sawallisch wirklich entgangen, dass die Angestellten seines Hauses seit Wochen aufs Angenehmste mit Helnwein zusammen arbeiten? "seit 1989 steht ein komplettes maßstabgetreues Model mit allen dazu gehörigen technischen Zeichnungen in der Bühnenwerkstatt" erklärt Helnwein. Auch die anderen Unterstellungen seiner "Amok-Presse-Konferenz" (so Helnwein) kann Sawallisch nicht aufrecht erhalten. "Ich habe von keinem der beteiligten jemals irgend eine Kritik oder Bedenken gehört", sagt Helnwein. Und Kresnik: "Sawallisch ist weder in der Lage, mich raus zuschmeißen noch mich zu kündigen: Die Bayrische Staatsoper war nicht fähig, mir in zwei Jahren einen Vertrag anzubieten, der mit mir abgesprochen war."
Sawallisch- so muss man schließen- hat gar nicht gewusst, worauf er sich einließ, als er ein paar berühmte "Namen" einzukaufen gedachte. Erst jetzt scheint ihm klar geworden zu sein, dass er mit Kresnik / Helnwein Künstler engagiert hat, die sich auf eine nebulose "Werktreue" nicht verpflichten lassen. Sie wollten die Geschichte einer Frau erzählen- getanzt von dem dunkelhäutigen Tänzer Ismael Ivo( der bis heute auch noch keinen Vertrag hat). Und weil die Geschichte nicht in einem vagen Mittelalter, sondern " in der Jetztzeit spielt, sehen die Menschen wie richtige Menschen aus, also wie aus dem 'Ottokatalog' oder aus der Bravo", schreibt Helnwein und kommt zu dem peinlichen Schluss: "Dass meine Trivial-Collagen imstande waren, Herrn Professor Sawallisch in eine schwere Krise zu stürzen, zeigt nur, dass er die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts mit Ready-made, Dada, Warhol, Beuys verschlafen hat."