Texte und Essays
Pavillon, Magazin fuer Pfalz und Saar – 31. Mai 1992
one-man show, Pfalzgalerie, Kaiserslautern und Kunstmuseum in Thun
GOTTFRIED HELNWEIN - DRASTISCHER REALISMUS
"Rockmusik, Film und Comic Strips sind die Kunst des 20. Jahrhunderts - elementare Kunstformen, mitreissend, von einer elementaren Kraft und Intensität. Und diese Qualitäten habe ich bei den meisten abgesegneten Werken der Hochkunst ziemlich vermisst. Die sind im Vergleich dazu meistens blutleer, langweilig und haben wenig mit dem Leben und den Menschen zu tun."
Diese persönlich ehrliche, inhaltliche gewiss diskussions-würdige Anschauung des 1948 in Wien geborenen Malers, Zeichners, Bühnenbildners und Aktionskünstlers Gottfried Helnwein skizziert wesentliche Züge seiner eigenen, aussergewöhnlichen künstlerischen Konzepte.
Seit anfang der 80er Jahre erregt Helnwein mit drastisch realistischen Bildern und mit eindringlich schockierenden Aktionen Aufsehen bei Publikum und Medien. Man kann Helnweins Werken und seinen thematischen Vorlieben allerhand nachsagen, lasche Themen, langweilige Motive oder etwa zurückhaltende Darstellungsweisen sind gewiss nicht Merkmale seiner Arbeit.
Zahlreiche seiner Bildnisse, auch immer wieder Selbstportaits, zeigen bandagierte Köpfe und Körper, nicht selten verschärfen deutliche Spuren von Blut oder Gewebeflüssigkeiten die wenig anheimelnde Wirkung dieser Bilder. Daß in den derart drapierten Bildfiguren bisweilen auch noch Eßwerkzeuge wie z.B. Gabeln stecken, verschiebt die gruselige Wirkung der Helnwein-schen Inszinierung deutlich ins literarisch Horrorhafte. Neben den Bandagierten stegen, stets in penibel hypergenauem Naturalismus gezeichnet oder gemalt, Bilder von Operierten, auch von Kindern, mit Operationsnarben gerade von der erschreckenden Art, die man gemeinhin vor den Augen Fremder verbirgt.
So zeigt eines von Helnweins eigenen Lieblingsbildern, das 1971 gezeichnete Aquarell "Peinlich" ein sitzendes zierliches, etwa drei-jähriges Mädchen in einem zart-rosa Kleid. Der Mund und die linke Wangenpartie sind von grossen Narben starkt entstellt, offenbar Spuren einer nocht nicht abgeschlossenen chirurgischen Hasenscharten-Korrektur, und beide Hände sind bandagiert. Das Kind sitzt an eine Wand gelehnt auf dem Boden, hält ein buntes Comikheft auf dem Schoss und blickt ruhig aus asymetrisch stehenden Augen vor sich hin. Entscheidener kann man die Idylik des herkömmlichen Kinderbildnisses kaum in sein Gegenteil verkehren. Der aus normalerweise verdrängten Alltags-geschehnisse entlehntle Horror in Gottfried Helnweins Bildern entwickelt im jeweils einzelnen Motiv mehr und nachhaltigere Schockkraft, als komplette zwei-stündige Blut- und Metzelfilme auch neuster Machart. Wie kommt der Mann dazu, sich intensiv mit derartigen Motiven zu beschäftigen?
Helnwein studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien Malerei, als Kommilitone seines engen Freundes Manfred Deix. Sein dortiger Lehrer war Rudolf Hausner, einer der Hauptprotagonisten der "Wiener Schule des Phantastischen Realismus", einer Künstlergruppe, die mit poetischen, mystizistisch-surreal gemeinten Konzepten in den 60er, 70er Jahren weltweiten Erfolg erzielte.
In den sechziger Jahren wurde in den meisten Akademieateliers ungegenständlich gemalt. Helnwein spürte für diese Richtung keinerlei Interesse und ging zu Professor Hausner, da er gehört hatte, dass in dessen Klasse realistisch - surrealistisch gearbeitet würde. Hausners Bilder waren für Helnwein, wenn überhaput, nur in technischer Hinsicht Vorbild: sie sind in verblüffend penibler Manier getüftelt, ihr handwerkerlicher Standard mag dem jungen Studenten für seine künstlerischen Absichten interessant erschienen sein.
Schon früh während seines Wiener Studiums, das er im wesentlichen als Autodidakt hinter sich brachte, entwickelte Helnwein die Bilderwelt, die als für sein Werk typisch gilt. Verwundete und gequälte Kinder, geschundene oder sich in sehr extremen Situationen befindende Menschen stehen im Mittelpunkt seiner "freien" Arbeiten. Helnweins superrealistische Darstellungsweisen eigneten sich jedoch auch für Auftragsarbeiten.
Helnwein hat für zahlreiche internationale Magazine, wie Der Spiegel, Profil oder Rolling Stone Titelillustrationen geschaffen, er hat Popstars wie die Rolling Stones oder James Dean für Posters und Bildbände gezeichnet, Schallplatten-Covers z.B. für die Band Scorpions gestaltet und Theater-Plakate so wie aufwendige Bühnenbilder für bedeutende Inszenierungen renomierter Regisseure wie Peter Zadek entwickelt und ausgeführt. Helnwein beschäftigt sich nicht nur mit gegenständlicher Kunst, er schafft mit gleicher intensität freie ungegenständliche, teils rein monochrome Bilder. Neben den gemalten und gezeichneten Arbeiten entstehen auch Fotografische Bildserien, in denen Helnwein Themen seiner Malerei aufgreift und variiert.
Erhebliches Aufsehen erregte siene Photo-Installation "Neunter November Nacht" 1988 in Köln. Henwein hatte eine Reihe verfremdeter Kinderfotos grosformatig auf plastikmaterial übertragen und die Bilder in einer Reihe nebeneinander vor der Aussenfront des Museum Ludwig als 100 Meter lange Freiluftgalerie angebracht. Die jeweils 4 Meter hohen Farbbilder zeigten keineswegs fröhliche oder besonders lebendig aussehende Kinder, sondern Portaits von Kindern mit geschlossenen Augen, deren düster bedrohliche Stimmung teils dadurch bekräftigt wurde, dass die einzelnen Bilder sichtbar beschädigt und grob repariert waren. Helnwein hatte diese bedrückend wirkende Bilderfolge zum 50. Jahrestag der sogenannten Reichskristallnacht konzipiert, in Erinnerung an den schrecklichen 9. November 1938, an dem die Nazis begannen, ihr Konzept der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in aller offenheit zu exekutieren.
Aus Helnweins Bildern wie auch aus seinen Aktionen teilt sich des Künstlers vitales Bedürfnis mit, zum drängenden Thema der menschlichen Gewalt in einer Weise Stellung zu beziehen, die das Publikum nicht nur oberflächlich berührt. Sein Bestreben ist es, wirkungsstarke Bilder zu schaffen, die drastisch und detailreich vorführen, welche Schrecklichkeiten Menschen ihresgleichen antun und die zeigen, welcherart Unglück und Grauen hinter der dünnen Kulisse des scheinbar wohlgefügten Alltagsleben rumort. Mit der realistischen Darstellung grausamer Eingriffe, auch am eigenen Körper, provoziert Helnwein schockierende Einsichten in weitestgehend verdrängte und tabusierte Bereiche des menschlichen Daseins. Seine Bildsprache ist dabei so krass und penetrant, dass sein Konzept, kritisch - realistisch zu malen, weit über die Sphäre landläufiger Betroffenheitskunst hinausgeht.
Die Pfalzgalerie Kaiserslautern eröffnete am Vormittag des 31. Mai eine umfangreiche Helnwein-Ausstellung, die anschliessend im Kunstmuseum Thun zu sehen sein wird. Ausgestellt werden repräsentative Beispiele für unterschiedliche, wichtige Werk-komplexe: Eine Reihe früher Öl-Pastelle, Zeichnungen und Aquarelle, Gemälde aus den 80er und frühen 90er Jahren, darunter auch die "48 Portraits" berühmter Frauen, die im vergangenen Jahr zum ersten Mal in Köln ausgestellt waren, grosse Polaroids und 12 Fotografien auf Bromöldruckpapier "Faces", die berühmten Zeitgenossen wie Andy Warhol, Arno Brecker, Clint Eastwood und Michael Jackson zeigen.
Helnwein wohnt seit einigen Jahren in Burgbrohl am Rhein und in den Vereinigten Staaten, die Ausstellung der Pfalzgalerie (bis zum 5. Juli) präsentiert somit den derzeit wohl weltweit bekanntesten, in Rheinland-Pfalz lebenden Bildenden Künstler.
Zur Ausstellung erscheint ein ausführlicher, etwa 100seitiger Katalog mit ca. 70 Abbildungen und einem Text von Frau Dr. Gisela Fiedler-Bender, der Direktorin der Pfalzgalerie.
Unser Buchtip zur Helnwein-Ausstellung: Rechtzeitig zur Ausstellung erschien im Münchner Verlag C.H. Beck das 191 seitige Buch "Malerei muss sein wie Rockmusik" - Gottfried Helnwein im Gespräch mit Andreas Mäckler. Der empfelenswerte Interview - Band liefert, in Helnweins eigenen Worten, die bisher detail- und umfangreichsten Informationen zu Leben, Denken und Werk dieses so umstrittenen wie interessanten Künstlers; zahlreiche Abbildungen, DM 24.-